Das Kernkraftwerk
Physikalischer Hintergrund
Die Kernergietechnik beruht auf der Freisetzung der sogenannten Starken Kraft, einer kurzreichweitigen Naturkraft, die zwischen Kernteilchen (Protonen und Neutronen) wirkt. Strenggenommen handelt es sich um eine Konsequenz der sogenannten Farbkraft, die die Quarks, Bausteine der Protonen und Neutronen, zusammenhält.
Am stärksten gebunden ist der Kern des Eisens, leichtere und schwerere Kerne sind weniger stabil. Daher kann man Energie freisetzen, indem man schwere Kerne spaltet oder leichte verschmilzt. Ersteres beherrscht man schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts, letzteres wird gerade experimentell erprobt.
Die Teilchen innerhalb des Kerns werden durch millionenmal stärkere Kräfte aneinander gebunden als die Elektronen in der Atomhülle an den Kern. Daher bieten Kernbrennstoffe eine geradezu phantastische Energiedichte: 1 kg Uran ersetzt rund 10 t Steinkohle in herkömmlichen Reaktoren bzw. bei Brutreaktoreinsatz (siehe unten) ca. 1000 t.
Als Spaltstoff kommen alle Kerne in Frage, die "fissil" sind: Das heißt, dass sie nach Einfangen eines Neutrons in Bruchstücke zerplatzen und dabei Energie und zwei bis drei weitere Neutronen freisetzen. Es gibt auch "fertile" Kerne, die sich durch Neutroneneinfang in fissile umwandeln.
Fissile Nuklide (Zahl hinter dem Namen gibt Kernmasse, d.h. Anzahl Protonen+Neutronen an):
- Uran 233
- Uran 235
- Plutonium 239
Fertile Nuklide:
- Thorium 232 (wird zu U233)
- Uran 238 (wird zu Pu239)
Kernkraftwerke
Damit ein Reaktor nützliche elektrische Energie erzeugen kann, sind zusätzliche Systeme nötig: Die Energie (sie steckt im wesentlichen anfangs in der Bewegungsenergie der Spaltprodukte) wird durch das Kühlmittel aus dem Reaktor abgeführt. Entweder verdampft das Kühlmittel dabei direkt (Siedewasserreaktor) und treibt eine Turbine, oder es überträgt die Wärme auf einen Sekundärkreis (Druckwasserreaktor und andere), dessen Wasser dabei verdampft und über die Turbine geleitet wird. Die Turbine treibt dann den elektrischen Generator. Manche Brutreaktoren, die mit flüssigen Metallen, z. Bsp. Natrium gekühlt werden, haben sogar einen Tertiärkreis (Natrium-Natrium-Wasser).
Die meisten Kernkraftwerke beruhen auf Druck- und Siedewasserreaktoren, in denen normales Wasser sowohl als Kühlmittel wie auch als Moderator dient. Aber es existieren auch andere Bauformen, z. Bsp.:
- Schwerwasserreaktor: Kühlung und Moderation durch schweres Wasser (mit Deuterium statt normalem Wasserstoff), u.a. im kanadischen Bundesstaat Ontario verbreitet (CANDU).
- Gasgekühlter, graphitmoderierter Reaktor: Verbreitet in Großbritannien.
- Hochtemperaturreaktor: Kühlung durch Helium, Moderation durch Graphit. Wurde schon getestet, aber noch nicht kommerziell eingesetzt.
- Schneller Brutreaktor: Kühlung durch flüssige Metalle, keine Moderation. Aus wirtschaftlichen Gründen noch selten.
Viele - aber nicht alle! - Kernkraftwerke haben einen oder mehrere große Kühltürme, in denen der Dampf wieder kondensiert und Wärme abgibt.
Heutige KKW setzen meist zwischen 1000 und 2000 MW(e) frei. Es existieren jedoch auch Entwürfe für modulare Minikraftwerke, die 100 MW oder weniger produzieren, für eine regionale, dezentralisierte Energieversorgung.
Der Schnelle Reaktor
Ein Kernreaktor, der mit schnellen Neutronen arbeitet, heißt Schneller Reaktor. Es gibt unterschiedliche Reaktortypen, die alle in die Klasse der Schnellen Reaktoren fallen. Je nach Bauweise arbeitet ein solcher Reaktor als Schneller Brüter, Schneller Brenner oder er erzielt Break-Even als Grenzfall zwischen beiden.
Unter schnellen Neutronen versteht man solche, die die hohe Geschwindigkeit, die ihnen bei der Freisetzung durch Spaltung eines Kerns mitgegeben wurde, beibehalten haben. Langsame oder thermische Neutronen dagegen wurden so stark abgebremst, dass ihre Bewegungsenergie der thermischen Energie der umgebenden Atome entspricht. Damit eine Kettenreaktion aufrecht erhalten werden kann, müssen die Neutronen in einem Reaktor entweder schnell oder thermisch sein, der dazwischenliegende Bereich ist ungeeignet, da in ihm die Spaltstoffkerne zu wenig neue Neutronen pro eingefangenem Neutron freisetzen. Gegenwärtig sind die meisten kommerziellen Leistungsreaktoren thermische Reaktoren mit langsamen Neutronen.
Thermische Neutronen im Leichtwasserreaktor
Im herkömmlichen Leichtwasserreaktor werden die bei einer Kernspaltung freiwerdenden Neutronen durch das die Brennelemente umgebende Wasser bis in den thermischen Bereich abgebremst. Sie können Uran-235 spalten und dadurch Energie freisetzen. Gleiches gilt mit Einschränkungen für Plutonium-239, das in Leichtwasserreaktoren während des Betriebs entsteht, aber für sie ein nur mittelmäßig geeigneter Spaltstoff ist, da es in einem relativ ausgedehnten Energiebereich am oberen Ende des thermischen Spektrums sehr wenige Neutronen pro eingefangenem Neutron freisetzt. Ein Leichtwasserreaktor produziert mehr Plutonium, als er verbraucht: Ein Brennelement, das nach ca. drei Jahren aus dem Reaktor entfernt wird, enthält etwa ein Prozent Plutonium. Daran sieht man, dass für die Erzeugung von kernwaffenfähigem Material kein Schneller Reaktor notwendig ist: Genaugenommen ist überhaupt kein Reaktor notwendig, da eine einfache "Kanonenrohr-Atombombe" (Hiroshima-Typ) bereits mit hochangereichertem Uran-235 hergestellt werden kann. Neben Plutonium-239 entstehen weitere, noch schwerere Elemente, die Transurane. Sie sind durch thermische Neutronen nicht spaltbar, strahlen stark und sehr lange und machen dadurch den besonders unangenehmen Teil abgebrannter Brennelemente aus.
Schnelle Neutronen im Schnellen Reaktor
Hier kommen die schnellen Neutronen ins Spiel, denn schnelle, ungebremste Neutronen können Transurane spalten. Dazu muss ein Reaktor her, der die Neutronen nicht abbremst, was bedeutet, dass möglichst alle Substanzen mit geringem Atomgewicht aus ihm ferngehalten werden sollten: Je schwerer ein Kern, desto weniger Energie verliert ein mit ihm kollidierendes Neutron. Wassergekühlte Reaktoren scheiden also aus. Geeignete Kühlmittel sind Helium (da es zwar ein niedriges Atomgewicht hat, aber aufgrund seiner geringen Dichte nur eine schwache Abbremsung der Neutronen hervorruft) oder flüssige Metalle. Als besonders praktisch und gut in der Handhabung hat sich flüssiges Natrium erwiesen, auch wenn Gegner hier gern die hohe chemische Reaktivität von Natrium mit Wasser ins Feld führen. Aber Wasser hat ja – siehe oben – ohnehin nichts im Schnellen Reaktor verloren. Zuweilen werden auch Gemische von Blei und Bismuth eingesetzt (vor allem bei sowjetischen/russischen militärischen Reaktoren). Diese haben aber neben ihrer unpraktisch hohen Dichte den Nachteil, mit anderen Metallen aggressiv zu reagieren, was insbesondere bei den sowjetischen U-Booten der Alfa-Klasse zu Problemen mit dem Antriebsreaktor führte. Natrium dagegen verhält sich anderen Metallen gegenüber völlig inert. Da Helium eine geringe thermische Leitfähigkeit aufweist und darüber hinaus im Reaktor unter erhöhtem Druck stehen muss, ist Natrium die optimale Wahl.
Schneller Brüter, schneller Brenner
Der Brennstoff des Schnellen Brüters ist Uran-238. Es hat einen Anteil von 99,3 Prozent am Natururan und nutzt dieses daher besonders gut aus. Das Uran-238 lässt sich allerdings nicht direkt verwenden, weil es nicht effektiv spaltbar ist. Der Reaktor muss es zunächst durch Neutroneneinfang über die Zwischenstufen Uran-239 und Neptunium-239 in Plutonium-239 umwandeln. Damit haben wir ein spaltbares Material und können die Kettenreaktion aufrechterhalten, Neutronen zum Spalten der Transurane produzieren und somit auch daraus Energie gewinnen.
Da das zum Brüten benutzte Neutron der Kettenreaktion entzogen wurde, muss ein Brutreaktor eine gute Neutronenökonomie mit möglichst vielen freigesetzten Neutronen pro im Spaltstoff absorbiertem Neutron aufweisen. Bei Nutzung des Uran-Plutonium-Brutzyklus erfordert dies ein schnelles Neutronenspektrum, da im thermischen Bereich zu wenige Neutronen freigesetzt werden. Der Thorium-Uran-Zyklus dagegen erlaubt mit etwas Geschick auch die Konstruktion eines thermischen Brüters, da Uran-233 (der aus Thorium-232 erbrütete Spaltstoff) im langsamen Spektrum von allen Spaltstoffen die höchste Neutronenregenerationsrate aufweist.
Man kann einen Schnellen Reaktor durch seine Geometrie unterschiedlich konfigurieren:
- Produziert der Reaktor mehr Plutonium, als er für seinen eigenen Betrieb braucht – zum Beispiel zum Starten weiterer Schneller Reaktoren –, spricht man von einem Schnellen Brüter.
- Verbraucht der Reaktor mehr Plutonium als er produziert – zum Beispiel zum Vernichten bestehender Kernwaffen oder langlebiger Reaktorabfälle aus thermischen Reaktoren –, nennt man ihn einen Schnellen Brenner.
- Als Grenzfall dazwischen kann auch Break-Even erzielt werden, so dass die Menge an Transuranen im Reaktor zeitlich konstant bleibt.
Natrium-Kühlung
Manche Menschen haben starke Vorbehalte gegen Schnelle Reaktoren, weil die Kühlung durch flüssiges Natrium erfolgt. Sie wissen noch aus dem Chemieunterricht, daß Natrium stark mit dem Sauerstoff in der Luft oder im Wasser reagiert. Flüssiges Natrium hat jedoch ganz hervorragende Eigenschaften als Kühlmittel in Schnellen Reaktoren. So ist Natrium ein ausgezeichneter Wärmeleiter und verträgt sich sehr gut mit dem Stahl des Reaktorbehälters, der Pumpen, Rohrleitungen usw. Hatte man in den 1950er Jahren bei Schnellen Reaktoren vor allem Quecksilber oder NaK (Natrium-Kalium-Legierung) als Kühlmittel verwendet, sind alle seit 1960 gebauten Schnelle Reaktoren an Land natriumgekühlt – aus Gründen.
Dem Risiko von Natriumbränden beugen entsprechende technische Maßnahmen vor, mit denen man in einigen hundert Reaktorbetriebsjahren Erfahrungen gesammelt hat. Natriumbrände sind dennoch durchaus vorkommen, doch hielten sich die Schäden jedesmal in Grenzen, ließen sich reparieren und blieben ohne Folgen für Mensch und Umwelt. Beim russischen Schnellen Brüter BN-600, der seit 1982 im Kernkraftwerk Beloyarsk läuft, gab es insgesamt 27 Natriumbrände. Das spricht einerseits nicht gerade für die eingesetzten technischen Komponenten und Verfahren, andererseits zeigt es, daß Natriumbrände keineswegs zwangsläufig die katastrophalen Folgen nach sich ziehen, die immer wieder postuliert werden. Der BN-600 läuft heute noch, der Nachfolger BN-800 ist im Bau.
Die gute Handhabbarkeit von Natriumlecks liegt nicht zuletzt daran, daß man natriumgekühlte Reaktoren bei Normaldruck betreibt und nicht unter dem gewaltigen Überdruck eines wassergekühlten Reaktors. Bei einem Leck tropft oder fließt das Kühlmittel nur relativ langsam heraus. Es schießt nicht explosionsartig in die Umgebung und dehnt sich nicht schlagartig auf das Tausendfache seines Volumen aus, wie dies bei einem Leichtwasserreaktor der Fall wäre.
Einen ausführlichen und noch dazu gut lesbaren Überblick über Theorie und Praxis vom Natrium als Kühlmittel gibt diese Präsentation des Argonne National Laboratories:
- Sodium as a Fast Reactor Coolant (PDF), Thomas H. Fanning, 2007-05-03, Nuclear Engineering Division, U.S. Nuclear Regulatory Commission, U.S. Department of Energy.
Integral Fast Reactor (IFR)
Der Integral Fast Reactor (IFR) ist neben dem Thorium-Flüssigsalzreaktor einer der beiden favorisierten Reaktortypen der Generation IV. Mehr dazu hier unter dem Button IFR.